Muskeldystrophie Duchenne

– erkannt im 19. Jahrhundert von Guillaume-Benjamin Duchenne in Paris –

Häufigkeit und Genetik
Bei der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne handelt es sich um eine sogenannte seltene Erkrankung, die weltweit etwa einen von 5.000 Jungen betrifft. In Deutschland leben nach vorsichtigen Schätzungen etwa 2.000 Kinder und junge Erwachsene mit Duchenne Muskeldystrophie, die Lebenserwartung hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert, ist aber nach wie vor eingeschränkt. Im deutschsprachigen Raum ist
auch die Bezeichnung erblicher Muskelschwund gebräuchlich. Duchenne Muskeldystrophie wird durch Defekte im Dystrophin-Gen erklärt, welches auf dem X-Chromosom liegt. Jungen mit nur einem X-Chromosom und damit nur einem Dystrophin-Gen erkranken an Duchenne Muskeldystrophie, wenn dieses Gen mutiert ist, während Mädchen mit 2 X-Chromosomen und damit einer 2. Dystrophin-Genkopie in der Regel nicht oder weniger schwer erkranken. Gesunde Frauen, die ein defektes Dystrophin-Gen tragen (Überträgerinnen), geben dieses mit einem 50%igen Risiko an ihre Söhne weiter, die dann von der Duchenne Muskeldystrophie betroffen sind. Allerdings beruht bei etwa 1/3 aller Duchenne Patienten der Gendefekt auf einer Neumutation, ist also in mütterlichen Blutproben nicht nachweisbar. Außer Duchenne Muskeldystrophie gibt es auch noch weitere Formen von Muskeldystrophie (Gliedergürteldystrophie, kongenitale Dystrophie), die auf Defekten in anderen Genen beruhen. Beim Verdacht auf Muskeldystrophie sowie bei Kinderwunsch in Familien mit Muskeldystrophie sollte Rat bei einer genetischen Beratungsstelle eingeholt werden.
Diagnose
Die Diagnose Duchenne Muskeldystrophie wird mittlerweile vorwiegend durch eine Blutentnahme und einen genetischen Test gesichert. Das Dystrophin-Gen ist sehr groß, und in 79 kodierende Abschnitte (Exons) aufgeteilt, die von ebenso vielen nicht kodierenden, regulatorischen Abschnitten (Introns) unterbrochen werden. Gemeinsam ist den Gendefekten bei Duchenne Muskeldystrophie, dass kein oder nur sehr geringe Mengen des Dystrophin-Proteins gebildet werden. Der häufigste Gendefekt bei Duchenne ist das Fehlen von einem oder mehreren Exons (Deletionen), gefolgt von der Verdoppelung von einem oder mehreren Exons (Duplikationen) und kleineren Veränderungen (Punktmutationen) innerhalb der Exons (nonsense, missense) oder am Übergang von Exons zu Introns (splicing). Die genetische Diagnostik ist in 2 Stufen gegliedert:
In der ersten Stufe (meist MLPA) wird auf das Vorhandensein aller Exons und Introns getestet; dadurch werden Exon Deletionen und Duplikationen identifiziert, die sich bei 2/3 aller Patienten mit gesichertem Duchenne Muskeldystrophie finden. Wenn die 1. Stufe keinen auffälligen Befund zeigt, wird in der 2. Stufe (Sequenzierung) die gesamte Basenfolge aller Exons und der Exon-Intron-Grenzen bestimmt, um Punktmutationen und kleinere Veränderungen zu entdecken. Nur bei einer relativ geringen Zahl von Patienten mit Duchenne-Verdacht wird durch diese beiden Gentests keine Veränderung des Dystrophin-Gens identifiziert, was eine Gewebeentnahme (Muskelbiopsie) erforderlich macht.
Verlauf
Die Mehrzahl der Kinder mit Duchenne Muskeldystrophie ist bei Geburt und in den ersten Lebensjahren weitgehend unauffällig, allerdings hat ein
Teil der Kinder eine verzögerte Sprachentwicklung oder Autismus. Im Alter von 3 bis 6 Jahren entwickeln Kinder mit Duchenne Muskeldystrophie ein auffälliges Gangbild (Watscheln), Schwierigkeiten mit dem Treppensteigen und verlangsamtes Aufstehen vom Boden, und können nicht so schnell und ausdauernd rennen wie andere Kinder. Diese Symptome sind auf die einsetzende Schwäche der Hüft- und Oberschenkelmuskulatur zurück zu führen. Dazu kommt häufig eine Verkürzung der Achillessehne (Kontraktur) mit Spitzfusstellung. Die Gehfähigkeit nimmt im Verlauf weiter ab, die meisten Kinder sind ab dem 10 bis 13. Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen. Bei den Jugendlichen setzt dann eine Schwäche der Arme und teilweise auch eine Verbiegung der Wirbelsäule ein. Bei den Jugendlichen und Erwachsenen mit Duchenne Muskeldystrohie zeigt sich eine Schwäche der Atemmuskulatur in einem schwachen Hustenstoß, gehäuften Atemwegsinfekten, Schlafstörungen, Abgeschlagenheit und morgendlichen Kopfschmerzen. Eine Schwäche der Herzmuskulatur kann zu Herzrasen und Kurzatmigkeit führen.
Behandlung
Die Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Duchenne Muskeldystrophie sollten durch spezialisierte Kliniken und ambulante Vorstellung mindestens alle 6 Monate koordiniert werden. Die genauen Behandlungsmethoden richten sich nach dem Alter der Patienten und wurden durch internationale Expertengremien erarbeitet. Eine Familienfreundliche, deutsche Broschüre mit den Empfehlungen finden Sie hier (link). Im gesamten Verlauf der Erkrankung ist eine begleitende Krankengymnastik und Hilfsmittelversorgung essentiell, um Komplikationen und Schmerzen zu verhindern und eine gute Lebensqualität zu erzielen. Im Alter von 4 bis 6 Jahren wird in der Regel eine hochdosierte Kortisonbehandlung begonnen, die nachweisbar den Muskelschwund verzögert und die Gehfähigkeit und Atemfunktion länger erhält. Allerdings ist die Kortisontherapie auch häufig mit Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Trübung der Augenlinse und Verminderung der Knochendichte verbunden. Kontrakturen und Skoliose sollten unter bestimmten Bedingungen operativ korrigiert werden. Die einsetzende Herzmuskelschwäche kann meist effektiv mit Medikamenten, sogenannten ACE Hemmern und beta Blockern behandelt werden. Bei Nachweis einer schweren Einschränkung der Atemfunktion wird eine nicht invasive Heimbeatmung empfohlen, bei der eine Maschine die Atmung über eine Gesichtsmaske unterstützt, die vorwiegend nachts getragen wird.
Forschung
In der vorklinischen Forschung werden neue Verfahren und Medikamente an geeigneten Zellkulturen oder Tiermodellen getestet, die in der
Regel ebenfalls einen Defekt des Dystrophingens aufweisen. In der klinischen Forschung werden neue Verfahren und Medikamente an Patienten getestet, dabei werden im Wesentlichen 3 Phasen unterscheiden. Eine klinische Studie der Phase 1 wird an einer kleinen Zahl von Probanden durchgeführt, die Sicherheit des neuen Medikaments wird untersucht. In der klinischen Studie der Phase 2 geht es beispielsweise um die Frage
der richtigen Dosierung, der Häufigkeit der Darreichung und anderer Parameter, um den gewünschten biochemischen Effekt zu erzielen. An derartigen Studien nehmen bis zu 50 Patienten in einem oder mehreren Zentren teil. Bei Studien der Phase 3 wird das Medikament auf seine klinische Wirksamkeit hin geprüft, beispielsweise ob sich die Gehfähigkeit in einem Maß verbessert, so dass eine Verbesserung der Lebensqualität oder Linderung der Beschwerden angenommen werden kann. Dazu ist in der Regel die Studienteilnahme von mehr als 100 Patienten in mehreren Ländern erforderlich. Das neue Medikament wird häufig mit einem Scheinmedikament (Plazebo) verglichen, Probanden werden den verschiedenen Verfahren zugelost (Randomisierung), und das Ergebnis bis zum Ende der Studie geheim gehalten (Verblindung). Bei nachgewiesener Wirksamkeit eines neuen Medikaments in einer Phase 3 Studie kann eine Zulassung bei den entsprechenden Behörden beantragt werden. Klinische Studien werden derzeit durchgeführt zum Exon skippen, Gentherapie mit viralen Vektoren, Utrophin Hochregulation, Myostatin Hemmung und anderen
Verfahren.
Hanns Lochmüller hat in München Medizin studiert, promoviert und seine Ausbildung zum Facharzt für Neurologie beendet. Stationen seiner wissenschaftlichen Laufbahn sind die Ludwig-Maximilians-Universität in München, die McGill Universität in Montreal (Kanada) und die Universität in Newcastle upon Tyne (Großbritannien), wo er seit 2007 einen Lehrstuhl zur Erforschung von Muskelerkrankungen besetzt.
Professor Lochmüller hat über 300 Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht und mehrere nationale und internationale Forschungsverbünde (u.a. MD-NET, TREAT-NMD) aufgebaut und geleitet, die die Voraussetzungen für klinische Studien bei Muskelerkrankungen und insbesondere Muskeldystrophie Duchenne maßgeblich verbessert haben.
Prof. Dr. Hanns Lochmüller